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PRESSEMITTEILUNG 332 Chemnitz, den 19.05.2003
Information aus dem Baugenehmigungsamt der Stadt Chemnitz/Denkmalschutzbehörde:
Sanierungsbeginn für das denkmalgeschützte Fabrikgebäude
der „Bernhardschen Spinnerei“ in Chemnitz-Harthau
Aufgrund von starkem Befall durch den Echten Hausschwamm ist die desolate historische Bausubstanz nur durch einen grundhaften Eingriff in alle Holzbalkendecken, den Drempel und das Mansarddach noch zu retten.
Um den weiteren Verfall durch weitere Witterungseinflüsse zu stoppen wurde bereits im November 2001 ein Wetterschutzdach über das Industriedenkmal gestellt und für den Zeitraum bis zum Baubeginn vorgehalten. Begründet durch das große öffentliche Erhaltungs-interesse und den dringender Handlungsbedarf, konnte diese erste Notsicherungsmaßnahme vollständig aus Denkmalfördermitteln des Freistaates und der Stadt finanziert werden.
Die nunmehr beginnenden und bis zum Frühherbst abzuschließenden Sanierungsarbeiten an Mauerwerk, Decken und Dach werden im Auftrag der Stadt durch das Chemnitzer Bauunternehmen FASA AG und weiteren Handwerksbetrieben aus der Region ausgeführt. Die dafür erforderlichen Finanzmittel in Höhe von über 600.000 Euro werden zu 75 Prozent aus dem Förderprogramm EFRE „Stadtentwicklung“, Teil C - Revitalisierung von Brachflächen, und zu 25 Prozent von der Stadt Chemnitz bereitgestellt. Das Förderprogramm dient dazu, die Kommunen bei der Vorbereitung brachgefallener Industrieareale und Gebäude zu unterstützen, um die Chancen für private Nachfolgeinvestitionen zu erhöhen. Die seit 2001 mit dem zukünftigen Investor Pro Civitate gGmbH aus Bochum / Halle laufenden Verhandlungen der Stadtverwaltung konnten im Dezember 2002 mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages positiv zu Ende geführt werden. Zuvor erwarb die Stadt die zwei desolaten Gebäude von der Chemnitzer Grundstücks- und Gebäudewirtschaftsgesellschaft mbH. Gleichlaufend wurde die Sanierungsplanung erstellt und die Baugenehmigung für das Fabrikgebäude erteilt. Die gesamte Umnutzungsplanung wie auch die bautechnische Vorbereitung der ersten Sicherungsmaßnahmen im Auftrage des Hochbauamtes der Stadt, liegen in den Händen der Chemnitzer Planungsgruppe Süd, speziell von Herrn Rosam und Herrn Bullmann.
Zur industriegeschichtlichen Bedeutung
Die Industrialisierung in Sachsen begann 1798 mit der Gründung der ersten Baumwollspinnerei nach englischem Vorbild durch die Gebrüder Bernhard im Chemnitzer Raum. (Eine frühere Fabrikgründung ist der Industriegeschichtsforschung bislang nur im Rheinland bekannt.) Im damaligen Vorort und heutigem Chemnitzer Stadtteil Harthau wurde diese erste Maschinenfabrik unter Beteiligung des englischer Spinnmeisters Evan Evans von 1798 bis 1806 durch Baumeister Johann Traugott Lohse errichtet.
Gründungsbau der Anlage ist die bis heute erhaltene Spinnmühle von 1799, ein lang gestrecktes dreigeschossiges Gebäude mit einer weiteren Produktionsetage im mächtigen Mansard-Walmdach.
Unter Ausnutzung der Wasserkraft des Würschnitz-Flusses, wurden über ein großes Mühlrad und Transmission erstmalig Systeme von Spinnmaschinen in den großen Sälen des mehrgeschossigen Produktionsgebäudes betrieben. Der Wechsel von der Manufaktur zur Fabrik nach englischem Vorbild war vollzogen.
Der eher sachliche Zweckbau ist im spätbarocken, frühklassizistischen Stil gehalten. Hauptschauseite ist der Ostgiebel mit reich gestalten Eingangsportal in einer baulich vorgehobenen bis in den Dachbereich geführten Mittelachse. Alle Fenster besitzen Einfassungen aus Hilbersdorfer Porphyr, die mächtigen Mauern bestehen aus Harthauer Chloridschiefer. Noch während seiner Errichtung begann der Bau des zweiten Fabrikgebäudes das den zeittypischen Dachreiter in Form eines Uhrenturmes trug. Es wurde 1916 abgetragen, um den Verwaltungsgebäude der gründerzeitlichen benachbarten Kammgarnspinnerei an gleicher Stelle Platz zu machen. 1804/06 ergänzte J. T. Lohse noch als dritten Flügel des hofartig gruppierten Ensembles das repräsentative Wohn- und Kontorhaus der Bernhards in ausgeprägten Formen des Klassizismus. Dieses dokumentiert den raschen Aufschwung des Unternehmens, begünstigt auch durch die in dieser Zeit von Napoleon verhängte Kontinentalsperre gegen die englische Konkurrenz. Dazu erstreckte sich ein herrschaftlicher Park vom Wohngebäude in südlicher Richtung bis zur Würschnitz; an der nördlich vorbeiführenden Klaffenbacher Straße entstand noch später eine zweigeschossige Fabrikschule mit Lehrerwohnung in Fachwerkbauweise.
Das erhaltene Ensemble der Bernhardschen Spinnerei mit der ältesten Spinnmühle Sachsens dokumentiert wie kein anderes Monument den Übergang vom Manufakturwesen zur fabrikmäßigen, industriellen Produktion an der Schwelle zum 19. Jahrhundert. Die sogenannte industrielle Revolution wurde von engagierten Pionieren wie Carl Friedrich Bernhard in Gang gesetzt und ließ gerade Sachsen mit seinen reichen Vorkommen an Bodenschätzen zum ersten Industriestaat auf deutschem Boden werden. Die Stadt Chemnitz, häufig im ausgehenden 19. Jahrhundert als “sächsisches Manchester“ tituliert, hatte daran einen überragenden Anteil.
Die Bernhardsche Spinnerei kann somit als äußerst bemerkenswertes Symbol der sächsischen Geschichte und Identität gelten.
Das Umnutzungskonzept des Investors Pro Civitate gGmbH
Pro Civitate gGmbH ist ein freigemeinnütziger Träger von Einrichtungen der Altenpflege und Wohnstätten für Menschen mit Behinderung mit Hauptsitz in Bochum. Der Name – er bedeutet übersetzt „für das Gemeinwesen“ – weist auf die Gemeinwesenorientierung als wesentlichen Aspekt des Selbstverständnisses dieses Unternehmens hin.
Altenpflegeheime, betreute Wohnungen und Wohnstätten sind Lebensräume, in denen pflegebedürftige und behinderte alte Menschen einen wichtigen Teil ihres Lebens verbringen. Sie sollen architektonisch und gesellschaftlich ein Teil der Gemeinschaft sein. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass Pro Civitate schon mehrfach gezeigt hat, dass die Bewahrung und denkmal-gerechte Umgestaltung historischer Gebäude zur Anpassung an die Erfordernisse zeitgemäßer Pflege möglich ist und auf diese Weise individuelle, unverwechselbare Einrichtungen von hohem Wohnwert entstehen. Ein Beispiel aus der näheren Umgebung ist die Sanierung und Umgestaltung des Pflegeheimes in Jahnsdorf und die gelungene Einbindung des im gleichen Ort neu erbauten Seniorenzentrums „Grüne Aue“ in die Sanierungsplanung der Gemeinde.
Um ständig eine hohe Pflegequalität zu erreichen, legt Pro Civitate großen Wert auf die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter. Dabei wird der Träger maßgeblich durch das von Ihm 1995 gegründete eigene Institut für Pflegeforschung unterstützt.
Das zukünftige Altenpflegeheim in Chemnitz- Harthau in der „Bernhardschen Fabrik“ wird zwar nur das zweitälteste von Pro Civitate betriebene Haus sein, dafür aber sicherlich das historisch bedeutsamste. Die Aufgabenstellung für die architektonische und funktionelle Lösung ergab sich für das Chemnitzer Planungsbüro aus den Anforderungen des Investors, der Pro Civitate Grundstücksverwaltungsgesellschaft Bernhardsche Spinnerei mbH mit Sitz in Halle, einer Tochtergesellschaft der Pro Civitate gGmbH Bochum.
Das Engagement des Investors ist ebenso daran zu messen, dass die bestehenden Gebäude nur in Verbindung mit einem Erweiterungsbau eine den Qualitätsansprüchen des Betreibers gerecht werdende Gesamtlösung entspricht. Die ungünstige Nord-Süd-Ausrichtung des Fabrikgebäudes und die sich daraus ergebenden überdimensionalen Nebenfunktionsflächen mussten planungsseitig zu einer wirtschaftlich tragfähigen und gleichzeitig qualitätsgerechten
Lösung gebracht werden. So werden im Altenpflegeheim Fabrikgebäude mit Erweiterungsbau 43 Einzelzimmer und 15 Doppelzimmer entstehen, fast alle mit eigenen, barrierefreien Bewohnerbad ausgestattet.
Das Kontorgebäude wird mit der Umgestaltung in altenfreundliche Wohnungen in das Betreuungskonzept des Trägers engebunden. Hier entstehen 20 1,5-bis 2-Raum-Wohnungen und Verwaltungsräume. Die originalen klassizistischen Architekturelemente der Fassaden mit Freitreppe und Kolossalsäulen sowie noch vorhandene Türen und Stuckdecken in einigen Innenräume werden restauriert. Für die Förderung dieser Mehraufwendungen an diesem besonderen Denkmalobjekt hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz bereits ihre Zusage gegeben. In einem kleinerem Raum soll auch eine industriegeschichtliche Darstellung zur ersten Maschinenspinnerei Sachsens für Besucher eingerichtet werden.
Der Träger und ebenso die Stadt Chemnitz sind froh, dass nun mit der geplanten Umnutzung der alten Spinnerei und des gegenüberliegenden Kontorgebäudes die markanten und industriegeschichtlich wertvollen Gebäude dauerhaft erhalten werden können.
Hinweis für Redaktionen: Ansprechpartner bei Rückfragen ist im Baugenehmigungsamt der Stadt Chemnitz Herr Thomas Morgenstern, Leiter der Abteilung Denkmalschutz, Ruf 0371 /488-6350; Email: thomas.morgenstern@stadt-chemnitz.de
In der Anlage übermittelt die Pressestelle zur Veröffentlichung folgende Ansichten von der Bernhardschen Spinnerei:
Foto (1): Ehemaliges Fabrikgebäude der Spinnerei Bernhard: 1798-99 erbaut in schlichten Formen des Spätbarock – die Aufnahme entstand vor der Erstellung der Gerüste mit Wetterschutzdach und zeigt die Innenhofseite/Südfassade.
Foto (2): Ehemaliges Wohn- und Kontorhaus der Gebrüder Bernhard: 1804-06 erbaut in ausgeprägten Formen des Klassizismus – die Aufnahme zeigt die Innenhofseite (Nordansicht).
Foto (3): Historische Ansichte der Bernhardschen Spinnerei von 1841: zu dieser Zeit hatte Hauboldt bereits die Fabrik übernommen (Ansicht aus F.G. Wieck „Sachsen in Bildern, Chemnitz und seine Umgebung“).
Fotos/Quelle: Archiv der Denkmalschutzbehörde Chemnitz
Stadt Chemnitz