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PRESSEMITTEILUNG 457 Chemnitz, den 28.06.2004
Informationen aus dem Baugenehmigungsamt der Stadt Chemnitz:
Zur Übergabe des ältesten Fabrikgebäudes in Sachsen, der Spinnerei Bernhard, Klaffenbacher Straße 47 im Chemnitzer Stadtteil Harthau sind die Vertreter der Medien herzlich vor Ort am Mittwoch, dem 30. Juni eingeladen. Um 14:00 Uhr wird Bürgermeisterin Petra Wesseler den Akt symbolisch vollziehen und die ehemalige Spinnerei zur Betreibung eines Altenpflegeheimes an Geschäftsführer der Pro Civitate gGmbH Wolfgang Schütze übergeben.
Die Sanierungsarbeiten an Mauerwerk, Decken und Dach wurden im Auftrag der Stadt durch das Chemnitzer Bauunternehmen FASA AG und weiteren Handwerksbetrieben aus der Region ausgeführt und im Mai des Jahres beendet.
Die dafür erforderlichen Finanzmittel in Höhe von über 600.000 Euro werden zu 75 Prozent aus dem Förderprogramm EFRE „Stadtentwicklung“ - Revitalisierung von Brachflächen- und zu 25 Prozent von der Stadt Chemnitz über die Kommunale Denkmalschutzbehörde bereitgestellt. Das Förderprogramm diente dazu, ausschließlich die Kommunen bei der Vorbereitung brach gefallener Industrieareale und Gebäude zu unterstützen, um die Chancen für private Nachfolgeinvestitionen zu erhöhen. Dadurch war die Stadt Chemnitz bis dato noch „Hausherrin“ des Fabrikgebäudes.
Die seit 2001 mit dem Investor Pro Civitate gGmbH aus Bochum/Halle laufenden Verhandlungen der Stadtverwaltung konnten im Dezember 2002 mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages positiv zu Ende geführt werden. Zuvor hatte die Stadt die zwei desolaten Gebäude von der GGG mbH erworben.
Die gesamte Umnutzungsplanung wie auch die bautechnische Vorbereitung der ersten Sicherungsmaßnahmen im Auftrage des Hochbauamtes der Stadt, lagen in den Händen der Chemnitzer Planungsgruppe Süd.
Das Umnutzungskonzept des Investors Pro Civitate gGmbH
Pro Civitate gGmbH (übersetzt „für das Gemeinwesen) ist ein freigemeinnütziger Träger von Einrichtungen der Altenpflege und Wohnstätten für Menschen mit Behinderung mit Hauptsitz in Bochum. Altenpflegeheime, betreute Wohnungen und Wohnstätten sind Lebensräume, in denen pflegebedürftige und behinderte alte Menschen einen wichtigen Teil ihres Lebens verbringen. Sie sollen architektonisch und gesellschaftlich ein Teil der Gemeinschaft sein. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass Pro Civitate schon mehrfach gezeigt hat, dass die Bewahrung und denkmalgerechte Umgestaltung historischer Gebäude zur Anpassung an die Erfordernisse zeitgemäßer Pflege möglich ist und auf diese Weise individuelle, unverwechselbare Einrichtungen von hohem Wohnwert entstehen.
Ein Beispiel aus der näheren Umgebung ist die Sanierung und Umgestaltung des Pflegeheimes in Jahnsdorf und die gelungene Einbindung des im gleichen Ort neu erbauten Seniorenzentrums „Grüne Aue“ in die Sanierungsplanung der Gemeinde.
Das zukünftige Altenpflegeheim in Chemnitz-Harthau in der „Bernhardschen Fabrik“ wird zwar nur das zweitälteste von Pro Civitate betriebene Haus sein, dafür aber sicherlich das historisch bedeutsamste. Die Aufgabenstellung für die architektonische und funktionelle Lösung ergab sich für das Chemnitzer Planungsbüro aus den Anforderungen des Investors, der Pro Civitate Grundstücksverwaltungsgesellschaft Bernhardsche Spinnerei mbH mit Sitz in Halle, einer Tochtergesellschaft der Pro Civitate gGmbH Bochum.
Das Engagement des Investors ist ebenso daran zu messen, dass die bestehenden Gebäude nur in Verbindung mit einem Erweiterungsbau einer den Qualitätsansprüchen des Betreibers gerecht werdende Gesamtlösung entspricht. Die ungünstige Nord-Süd-Ausrichtung des Fabrikgebäudes und die sich daraus ergebenden überdimensionalen Nebenfunktionsflächen mussten planungsseitig zu einer wirtschaftlich tragfähigen und gleichzeitig qualitätsgerechten
Lösung gebracht werden. So werden im Altenpflegeheim Fabrikgebäude mit Erweiterungsbau 43 Einzelzimmer und 15 Doppelzimmer entstehen, fast alle mit eigenem, barrierefreien Bewohnerbad ausgestattet.
Das Kontorgebäude wird mit der Umgestaltung in altenfreundliche Wohnungen in das Betreuungskonzept des Trägers eingebunden. Hier entstehen 20 1,5-bis 2-Raum-Wohnungen und Beratungsräume. Die originalen klassizistischen Architekturelemente der Fassaden mit Freitreppe und Kolossalsäulen sowie noch vorhandene Türen und Stuckdecken einiger Innenräume werden restauriert. Zur Förderung dieser Mehraufwendungen für das besondere Denkmalobjekt hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz bereits ihre Zusage gegeben.
In einem kleineren Raum soll auch eine industriegeschichtliche Darstellung zur ersten Maschinenspinnerei Sachsens für Besucher eingerichtet werden.
Zur industriegeschichtlichen Bedeutung
Die Industrialisierung in Sachsen begann 1798 mit der Gründung der ersten Baumwoll-spinnerei nach englischem Vorbild durch die Gebrüder Bernhard im Chemnitzer Raum. Im damaligen Vorort und heutigem Chemnitzer Stadtteil Harthau wurde diese erste Maschinenfabrik unter Beteiligung des englischer Spinnmeisters Evan Evans von 1798 bis 1806 durch Baumeister Johann Traugott Lohse errichtet.
Gründungsbau der Anlage ist die bis heute erhaltene Spinnmühle von 1799. Unter Ausnutzung der Wasserkraft des Würschnitz-Flusses, wurden über ein großes Mühlrad und Transmission erstmalig Systeme von Spinnmaschinen in den großen Sälen des mehrgeschossigen Produktionsgebäudes betrieben. Der Wechsel von der Manufaktur zur Fabrik nach englischem Vorbild war vollzogen.
Der eher sachliche Zweckbau ist im spätbarocken, frühklassizistischen Stil gehalten. Hauptschauseite ist das reich gestaltete Eingangsportal am Ostgiebel. Alle Fenster besitzen Einfassungen aus Hilbersdorfer Porphyr, die mächtigen Mauern bestehen aus Harthauer Chloridschiefer. Noch während seiner Errichtung begann der Bau des zweiten Fabrikgebäudes, das den zeittypischen Dachreiter in Form eines Uhrenturmes trug. Es wurde 1916 abgetragen, um dem Verwaltungsgebäude der gründerzeitlichen benachbarten Kammgarnspinnerei an gleicher Stelle Platz zu machen. 1804/06 ergänzte J. T. Lohse noch als dritten Flügel des hofartig gruppierten Ensembles das repräsentative Wohn- und Kontorhaus der Bernhards in ausgeprägten Formen des Klassizismus. Dieses dokumentiert den raschen Aufschwung des Unternehmens, begünstigt auch durch die in dieser Zeit von Napoleon verhängte Kontinental-sperre gegen die englische Konkurrenz. Dazu erstreckte sich ein herrschaftlicher Park vom Wohngebäude in südlicher Richtung bis zur Würschnitz; an der nördlich vorbeiführenden Klaffenbacher Straße entstand noch später eine zweigeschossige Fabrikschule mit Lehrerwohnung in Fachwerkbauweise.
Das erhaltene Ensemble der Bernhardschen Spinnerei mit der ältesten Spinnmühle Sachsens dokumentiert wie kein anderes Monument den Übergang vom Manufakturwesen zur fabrikmäßigen, industriellen Produktion an der Schwelle zum 19. Jahrhundert. Die sogenannte industrielle Revolution wurde von engagierten Pionieren wie Carl Friedrich Bernhard in Gang gesetzt und ließ gerade Sachsen mit seinen reichen Vorkommen an Bodenschätzen zum ersten Industriestaat auf deutschem Boden werden. Die Stadt Chemnitz, häufig im ausgehenden 19. Jahrhundert als “sächsisches Manchester“ tituliert, hatte daran einen überragenden Anteil.
Die Bernhardsche Spinnerei gilt somit als äußerst bemerkenswertes Symbol der sächsischen Geschichte.
Hinweis für die Medien: Weitere Informationen erhalten Sie von Thomas Morgenstern, Leiter der Abteilung Denkmalschutz im Baugenehmigungsamt unter der Telefonnummer 0371/488 6350.
Stadt Chemnitz