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PRESSEMITTEILUNG 459 Chemnitz, den 01.07.2011
Internationaler Stefan-Heym-Preis 2011 der Stadt Chemnitz an Bora Ćosić verliehen
Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig: „Stefan Heym ist ein großer Sohn unserer Stadt. Die Ansprüche an den Träger des Stefan-Heym-Preises müssen ihm gerecht werden. Die Jury leistet mit ihrer Aufgabe Interpretationsarbeit: Wie begegnet uns Stefan Heym heute? Und wie soll er uns begegnen? Die Entscheidung für Bora Ćosić beantwortet diese Fragen und ehrt den Preisträger ebenso wie den Preis selbst und den Namensstifter. Ćosić scheut den schmalen Grat zwischen Kunst und Politik nicht, übt offen Kritik und lehrt uns, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Stefan Heym und Bora Ćosić machen uns das Leben mit ihren Werken keineswegs leichter. Ganz im Gegenteil halten sie uns Schwächen und Kompromisse vor. Zugleich aber wecken sie Mut, Verantwortung zu übernehmen, schaffen Vertrauen in die Fähigkeiten des Einzelnen, formulieren den Anspruch an uns, mehr zu tun als sich nur zu arrangieren.“
Die Laudatio auf Bora Ćosić hielt der langjährige WDR-Intendant und frühere Vorsitzende der ARD, Fritz Pleitgen, der zugleich Schirmherr der ersten Konferenz der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft ist.
„Stefan Heym wäre mit dem diesjährigen Preisträger höchst einverstanden gewesen“, so Fritz Pleitgen. „Bora Ćosić ist ein Schriftsteller, der sich mit unserer Zeit auseinandersetzt, der Türen aufstößt, der aus engem Denken herausführt, der neue, überraschende Blickwinkel eröffnet, der all dies mit Esprit und feinem oder – wenn nötig – bösen Witz brillant zu formulieren versteht, der vor allem niemals für ein bequemes Leben sein Recht veräußern würde, zu sagen und zu schreiben, was er denkt und fühlt; mögen dafür noch so unangenehme Repressalien drohen oder verhängt werden. Das sind die Grundeigenschaften, die Bora Ćosić mit Stefan Heym verbinden. Ich gratuliere Bora Ćosić zum Stefan Heym-Preis und gleichzeitig dem Kuratorium zu seiner Entscheidung. Nach Amos Oz hat es mit Bora Ćosić erneut einen Preisträger von hohem internationalen Rang und einen Schriftsteller gewählt, der dem Zusammenleben der Völker gut tut.“
Der Preisträger Bora Ćosić, der sich nach der Verleihung des Preises auch ins Goldene Buch der Stadt Chemnitz eintrug, in seiner Dankesrede: „Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, die Verhältnisse im Osten und im Westen streng zu trennen. Dabei hilft mir heute der Dichter Adonis, der sagt, es gebe in jedem Westen mehrere Westen und in jedem Osten mehrere Osten. Sagen wir Osten und Westen, vereinfachen wir die Dinge. Wir können sagen, dass es im Westen Osten gibt, die viel östlicher sind als der Osten, so wie es im Osten Westen gibt, die viel westlicher sind als der Westen. Ich kannte Stefan Heym, dank dessen Werk wir alle heute hier versammelt sind, nur kurz. Aber mit ihm und seinem dramatischen Leben verbindet mich gerade das, mein eigenes Schicksal, das sich in einem Spagat, einem west-östlichen, befindet.“
Mit der Vergabe des Internationalen Stefan-Heym-Preises der Stadt Chemnitz an Bora Ćosić hat sich die Jury für einen großen Erzähler, Satiriker und auch Kritiker Süd-Ost-Europas entschieden. Ćosić steht in der Tradition der serbischen Avantgarde der 60er und 70er Jahre und hat über 30 Werke publiziert. Zu den bekanntesten gehören der preisgekrönte Roman „Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution“ und „Das Land Null“. Mit der Entscheidung würdigt das Kuratorium auch die aufklärende Rolle von Ćosić als einem politischen Schriftsteller. Sein 2007 erschienenes Werk „Die Reise nach Alaska“ ist das erschütternde, poetische Fazit einer Reise durch das geschundene ehemalige Jugoslawien, voll von kroatischen, serbischen, bosnischen, jüdischen, ungarischen und altösterreichisch-deutschen Reminiszenzen – gleichermaßen eine Korrektur Peter Handkes und eine „verliebte Reise“ auf den Spuren der Surrealisten wie auf denen der geliebten Frau.
Bora Ćosić wurde 1932 in Zagreb geboren und wuchs in Belgrad auf. Er studierte Philosophie und arbeitete unter anderem als Redakteur verschiedener Literaturzeitschriften. 1992 verließ er Serbien, weil er nicht unter dem Regime Miloševićs leben wollte. Er ging nach Rovinj (Kroatien), dann nach Berlin. Bora Ćosić wurde 2002 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet, 2008 mit dem Albatros-Preis der Günter-Grass-Stiftung.
Mit der Vergabe des Stefan-Heym-Preises der Stadt Chemnitz wird an den am 10. April 1913 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Chemnitz geborenen Namensgeber des Preises und Ehrenbürger der Stadt, Stefan Heym, erinnert.
Der Internationale Stefan-Heym-Preis wird alle drei Jahre an herausragende Autoren und Publizisten vergeben, die sich wie Stefan Heym in ihrem Wirken als Persönlichkeiten erwiesen haben, die sich in gesellschaftliche wie politische Debatten einmischen, um für moralische Werte zu streiten. Erster Preisträger war im Jahr 2008 der israelische Schriftsteller Amos Oz. Der Preis ist mit 40.000 Euro dotiert. Aus Anlass des 100. Geburtstags Stefan Heyms findet die nächste Preisverleihung bereits 2013 statt.
Stadt Chemnitz