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Geschichte(n) rund ums Rathaus

Mehrteilige Serie anlässlich der Festwoche 100 Jahre Rathaus

Nach 100 Jahren gibt es viel zu erzählen. Bis zur Festwoche im August 2011 erschienen regelmäßig kleine Anekdoten, angefangen vom Bau des Neuen Rathauses bis zum aktuellen Geschehen. Lassen Sie sich mit auf eine Zeitreise nehmen in die Geschichte unserer Stadt.

Chemnitz und seine Rathäuser - Die verschiedenen historischen Standorte

Das „neue Rathaus“ an der Poststraße

Die Stadtverwaltung war in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts in fünf verschiedenen Gebäuden untergebracht. Außer dem Alten Rathaus mussten Privathäuser genutzt werden, die immerhin alle in der Innenstadt lagen. Die Polizei befand sich im ehemaligen Dörstlingschen Haus am Neumarkt, das zusammen mit den danebenliegenden Häusern gekauft worden war, die Bauverwaltung im Beyreutherschen Haus am Holzmarkt, die Sparkasse im Voigtschen Haus in der Poststraße und das Wasserleitungsbüro im ehemaligen Strumpfwirkermeisterhaus an der Langestraße. Dazu kamen noch die Gebäude der Stadtbank, des Leihhauses und der Stadtbibliothek. Diese Zersplitterung wurde lebhaft beklagt, sie wäre „mit großen Unzuträglichkeiten sowohl für das Publikum als auch für die Verwaltung verknüpft“. Dazu kam, dass das Alte Rathaus dringend saniert werden musste.

Die Höhere Bürgerschule an der Poststraße, Foto: Stadtarchiv ChemnitzDie Höhere Bürgerschule an der Poststraße
Foto: Stadtarchiv Chemnitz

An einen Neubau war aber angesichts der damaligen Finanzsituation nicht zu denken. Deshalb schlug der Stadtrat Ernst Kunze vor, das bisherige Gebäude der Höheren Bürgerschule in der Poststraße zum Rathaus umzunutzen. 1857 war dieses Schulhaus errichtet worden, seitdem beanspruchten hier die Stadtverordneten schon einen Raum für sich als Sitzungssaal. Wo aber sollten nun die Schüler bleiben? Genügend Raum für die Höhere Bürgerschule wurde schließlich an der Dresdner Straße frei, als die dortigen Gewerbschule ihr neues Gebäude am Schillerplatz bekam, den heutigen Böttcherbau der Technischen Universität.

 

Die Rathäuser an der Poststraße und am Beckerplatz, Foto: Stadtarchiv ChemnitzDie Rathäuser an der Poststraße und am Beckerplatz
Foto: Stadtarchiv Chemnitz

Das von Stadtbaumeister Andrä zum Rathaus umgebaute Schulgebäude an der Poststraße konnte am 16. Juni 1879 übergeben werden und am 11. Dezember desselben Jahres kamen Stadtverordnete und Stadträte zu ihrer ersten gemeinsamen Sitzung in der bisherigen Aula der Schule zusammen. Auch städtische Verwaltung und Polizei waren mittlerweile in dieses Gebäude eingezogen. Dadurch stand wiederum das Alte Rathaus für das Standesamt, die Sparkasse und die Stadtbibliothek zur Verfügung. Auch der alte Ratssitz erfuhr bald die dringend notwendige Sanierung, wobei er freilich einen Teil seiner historischen Bausubstanz einbüßte. In den Jahren 1882–84 wurde ein Teil des Westflügels mit dem früheren Weinkeller abgebrochen, die seitliche Treppe des Rathausturms verschwand und der Turm erhielt einen Treppenaufgang im Innern. Die frühere Ratsstube diente von nun an als Trausaal.

 

Streitobjekt Neues Rathaus

Altes Rathaus, Foto: Stadtarchiv ChemnitzDas Alte Rathaus
Foto: Stadtarchiv Chemnitz

Um die Jahrhundertwende platzten die Räume für die Stadtverwaltung der Industriestadt, die mittlerweile über 200 000 Einwohner zählte, förmlich aus allen Nähten. Oberbürgermeister Dr. Beck legte im Jahre 1905 eine Denkschrift für einen Rathaus-Neubau am Markt und Neumarkt vor. Auch Rat und Stadtverordnete waren einverstanden, dass dafür neben den historischen „Lauben“, der alten Lateinschule am Jakobikirchplatz und der Feuerwache am Neumarkt ein Teil des Alten Rathauses fallen sollte – die Denkmalschützer protestierten vergeblich. Zu deren Sprecher machte sich Prof. Alwin Gottschaldt, Vorsitzender des Vereins für Chemnitzer Geschichte und nebenbei auch Vertrauensmann der Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler in Sachsen. Stadtbaurat Richard Möbius aber verteidigte seine Baupläne. Die historischen „Lauben“ würden für den Marktverkehr ja nicht mehr genutzt und der in Anspruch genommene Teil des Alten Rathauses sei unbedeutend, der Platz würde aber für die Verwaltung dringend benötigt. Trotz aller Einwände sollte dessen Ostflügel mitsamt der wertvollen Gerichtsstube geopfert werden. Die Denkmalschützer mahnten, wenigstens einen schlichten Neubau zu errichten, durch den das Alte Rathaus in seinem Erscheinungsbild nicht zu sehr gedrückt würde. Daraufhin überarbeitete Richard Möbius seine Entwürfe noch einmal und passte sie dem Alten Rathaus besser an. Der repräsentative Neubau sollte sich aber auch inmitten der fünfstöckigen Geschäftshäuser der Innenstadt behaupten können.

Die Altbauten fielen, und der spätgotische Chor der Jakobikirche wurde sichtbar. Nun aber erhob sich ein breiter Bürgerprotest gegen das Projekt des Stadtbaurates. Der anerkannte Dresdner Architekt Julius Graebner appellierte an die Chemnitzer, den schönen Blick auf ihre Jakobikirche nicht wieder zu verbauen. Verlockend war auch die Aussicht, eine direkte Straßenbahnverbindung von der Friedrich-August- zur Klosterstraße zu schaffen. Mittlerweile hatte aber die Bauvorbereitung des Neuen Rathauses bereits erhebliche Mittel gekostet. In einer Rede im überfüllten Stadtverordnetensaal verteidigte Oberbürgermeister Dr. Beck die Pläne seines Stadtbaurates Richard Möbius und überzeugte damit letztlich viele Skeptiker. Am 2. September 1911 konnte der Verwaltungssitz eingeweiht werden, ein Neubau mit reicher Innenausstattung, der äußerlich viele Erinnerungen an das alte Chemnitz anklingen lässt. Das hervorragende architektonische Können und Empfinden von Richard Möbius, der renommierte Künstler gewann, ließ nun alle Sorgen über das Bild der Chemnitzer Innenstadt schwinden.

 

Die Rettung des Neuen Rathauses 1945

Markt mit zerstörtem Alten Rathaus und Neuem Rathaus, Quelle: Stadtarchiv Chemnitz, Foto: Rudi SeidelMarkt mit zerstörtem Alten Rathaus und Neuem Rathaus
Quelle: Stadtarchiv Chemnitz
Foto: Rudi Seidel

Im Frühsommer des Jahres 1944 erreichte der Bombenkrieg Chemnitz und die umligeneden Gemeinden. Den größten Angriff erlebte die Stadt in den Abendstunden des 5. März 1945. Dieser forderte über 2100 Menschenleben. Den Bomben fielen viele öffentliche Gebäude zum Opfer, so das Rathaus am Beckerplatz, das Stadthaus am Falkeplatz und das Alte Rathaus. Das Neue Rathaus blieb unzerstört; das, was fast an ein Wunder grenzt, war das mutige Werk von Luftschutzangehörigen, Feuerwehrmännern und anderen Einsatzkräften.

Im Stadtarchiv liegt ein Bericht des damaligen stellvertretenden Luftschutzleiters Otto Seifert vor, in dem eindrucksvoll die Anstrengungen der Sicherungskräfte geschildert werden. Im Vordergrund stand dabei zunächst der Schutz der Zivilpersonen, die im Rathaus Zuflucht gesucht hatten. Sie wurden, da nicht absehbar war, ob das Rathaus erhalten bleiben würde, geordnet herausgeführt; allerdings kamen nach Beginn des Bombardements viele Personen aus der benachbarten Weberstraße wiederum in die Luftschutzräume im Rathaus, die ständig durch den Betrieb von Handpumpen mit Frischluft versorgt wurden.

Gefahr für das Neue Rathaus entstand vor allem durch den Brand der Nachbargebäude. Das Übergreifen des Feuers des brennenden Alten Rathauses wurde verhindert, indem die Trennmauern ständig mit Löschgeräten bewässert wurden. Auch das Übergreifen des Feuers vom Dach der Jakobikirche konnte abgewehrt werden. Brände, die im Inneren des Gebäudes aufgetreten waren, wurden ebenfalls mit Handlöschgeräten bekämpft. In den ersten Stunden des 6. März wurde dann der Nordflügel gesichert. Ab 8 Uhr übernahm ein Löschzug der Feuerwehr die Sicherung des Rathauses. Zur Rettung des Gebäudes trugen sicher auch dessen Stahl-Beton-Konstruktion sowie die Wetterlage mit leichtem Schneefall bei.

Das so erhalten gebliebene Neue Rathaus kündete in einer von Ruinen geprägten Umgebung vom Lebenswillen einer Stadt und ihrer Menschen.

 

Eine Schützenscheibe von 1892 - Das Rathaus am Beckerplatz

Schützenscheibe von 1892, Quelle: Stadtarchiv ChemnitzSchützenscheibe von 1892
Quelle: Schloßbergmuseum

Im Bestand des Schloßbergmuseums befinden sich die so genannten Jubiläums- oder „Königs“- Scheiben der historischen Chemnitzer Privilegierten Schützengesellschaft. Die prunkvollen Zielscheiben für das jährliche Ermitteln des Chemnitzer Schützenkönigs illustrieren nicht nur die spezifische Gepflogenheiten des Schützenwesens oder geben Auskunft über volkskundliches Brauchtum – sie spiegeln darüber hinaus Zeitgeschichte wider und zeigen, welche Ereignisse die Menschen bewegten und wie sie zu diesen standen. Eng verbunden mit ihrer Stadt, dokumentierten die Mitglieder der Schützengesellschaft und die von ihnen beauftragten Maler Motive des Wandlungsprozesses im Chemnitzer Stadtbild: Was neu entsteht, ist auch den Schützen in ihrem Selbstverständnis als aktiver Teil der Chemnitzer Bürgergemeinde wert, in ihren angestammten „Medien“ - wie eben jenen prächtigen Zielscheiben - für die Nachwelt festgehalten zu werden, erst recht, wenn es darum geht, das kommunaler Bürgerstolz seinen Ausdruck im Bau eines neuen Rathauses findet.

Die Schützenscheibe des Jahres 1892, gemalt vom damals populären „Kunst- und Dekorationsmaler“ Emil Mitschrich, stellt dem Betrachter nicht nur das damals brandneue Rathaus am Beckerplatz vor, der beigegebene Vers „Das Vaterhaus, die Heimathstadt, `s ist wenig, was man lieber hat. Mit Beiden theilt man Hohn und Spott, D’rum, neues Rathaus, schirm dich Gott“ lässt außerdem die Identifikation des Auftraggebers mit dem Dargestellten deutlich hervor treten. Vom Rathaus am Beckerplatz aus wurden für wenige Jahrzehnte die Geschicke der Stadt gelenkt. Das alte Rathaus am Markt war dem immens gewachsenen Verwaltungsbedarf einer modernen Großstadt längst nicht mehr gewachsen, so dass der Neubau eines zentralen kommunalen Verwaltungsgebäudes dringend geboten war. Zunächst wurde als Interim die ehemalige Realschule in der Poststraße zum Rathaus „umfunktioniert“. Nach 10 Jahren „Dienstzeit“ erneut als zu klein erkannt, musste schließlich, nach mehreren Umbauten und Erweiterungen, das Interim um einen Neubau ergänzt werden: Auf dem Beckerplatz, hinter dem 1871 von Händler geschaffenen Standbild des Unternehmers Christian Gottfried Becker, entstand bis 1891 das – in historischer Reihenfolge – dritte Chemnitzer Rathaus. Zwar erfüllte der Bau bis zu seiner Zerstörung durch alliierte Bomben im März 1945 seine Funktion als Verwaltungsgebäude, doch gehört zur Tragik des opulenten und stadtbildbestimmenden Neo-Renaissance-Baues, dass er bereits mit seiner Fertigstellung hoffnungslos veraltet war, und bereits 1888 Stimmen im Stadtrat laut wurden, die sich vehement für einen Neubau aussprachen, „der auf Jahrhunderte hinaus den Zwecken der Verwaltung dienen“ sollte. Der Weg für den Bau des Neuen Rathauses war vorbereitet.

 

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